Pausa im Vogtland

Veröffentlicht: Dezember 21, 2016 in Geschichtsspuren, Städte-Touren
Schlagwörter:, , , , ,

Nach längerer Pause wieder ein kurzer Touren-Bericht: ein Spaziergang durch die Stadt – oder das Städtchen – Pausa, nur wenige Kilometer von Plauen entfernt. Eine Kleinstadt, die nichts Besonderes bietet? Nun ja, das ist wie immer eine Frage des Maßstabs, genauer hinschauen muss man freilich als in größeren Städten. Wofür Pausa bekannt ist und wovon auch verhältnismäßig viel Aufhebens gemacht wird, ist natürlich die Legende von Pausa als Mittelpunkt der Erde. Darüber läßt sich andernorts lesen, darum gehe ich hier nicht näher darauf ein. Aber es war schon ein sympathischer Einfall, dieser Legende mit dem Globus auf dem Dach des Rathauses ein Denkmal zu setzen.

 

Beginnen möchte ich wie immer am Bahnhof der Stadt – der ist in Pausa wie leider so häufig eine eher traurige Angelegenheit: ein verwaister Ort, das Erscheinungsbild von Bauzäunen, vernagelten Fenstern und braungrauem Fassadenputz bestimmt. Eine Schuttrutsche deutet zumindest Aufräumarbeiten an. Züge halten hier schon länger nicht mehr.
pausa-012

 

 

Gleich gegenüber aber ein Lichtblick: das sanierte und immer noch betrieblich genutzte Fabriksgebäude der Drahtweberei. „Geht doch“ möchte man meinen: historische Substanz erhalten und gleichzeitig modern nutzen. Pausa selbst war im 19. Jahrhundert eine Industriestadt geworden, und als Zeuge dieser Entwicklung ist die Drahtweberei ein echtes Aushängeschild.
pausa-018

 

 

Vom Bahnhof führt die Bahnhofsstraße ins Stadtzentrum . Wie so oft, wurde diese Verbindung auch hier als repräsentative Zeile angelegt. Auch wenn man in Pausa eher nur von der Andeutung eines Boulevards sprechen kann, die schönen Gründerzeitfassaden, Alleebäume und das alte Kopfsteinpflaster bilden einen Straßenzug mit Charakter.
pausa-021

 

Doch bevor wir das Stadtzentrum erreichen, machen wir einen Abstecher ins „Kurviertel“ – auch hier gilt: ein echtes Kurviertel darf man nicht erwarten, eher nur dessen bescheidene Anmutungen. Immerhin besteht ein kleiner Kurpark (Eckhardtspark) mit zwei Brunnen-Häuschen und einer schmucken Fabrikantenvilla, sowie einige ehemalige Pensionen, die leider bis zur völligen Unkenntlichkeit kaputtsaniert wurden. Der Hintergrund: In Pausa wurden im 19. Jahrhundert seit längerem bekannte Heilquellen genutzt und ein Badebetrieb eingerichtet, der Ort nannte sich zeitweilig „Mineral- und Moorbad Bad Pausa“. Der große Erfolg blieb allerdings aus, 1907 wurde der Betrieb eingestellt, aus Pausa wurde kein mondänes Weltbad. Das ehemalige Badehaus besteht immerhin noch, wenn auch nur als Ruine. Zu DDR-Zeiten wurde der Bau industriell genutzt.
pausa-badehaus-019

 

Nun also ins Stadtzentrum: Die „klassische“Stadtansicht zeigt den Dreiklang der historischen Gebäude von Rathaus , ehem. Gericht und Kirche. Am Dach des Rathauses dreht sich der eingangs erwähnte Globus. Insgesamt herrscht Kleinstadtatmosphäre, wenn auch in nüchterner Ausformung Was unangenehm auffällt, sind die durchwegs wärmegedämmten, glattgeputzten, somit sterilen Fassaden der im Kern durchwegs alten Bürgerhäuser.
pausa-072

 

Einen malerischen Anblick bietet auf jeden Fall der Westhang der Stadt, an der an steilen Gassen die Bebauung zur Weida hin abfällt („Vorstadt“). Im Tal bestand hier die frühere Stadtmühle. Zu sehen gibt es hier nur „den ehemaligen Standort“ der Mühle, wie etwas schrullig auf einer Tafel mitgeteilt wird, die der Pausaer Heimatverein hier wie an allen anderen historischen Orten aufgestellt hat. Mit anderen Worten: zu sehen gibt es leider hier nüscht mehr.

 

pausa-084

 

pausa-081

Heute geht es in ferne Gefilde, weit abseits der Heimat: eine Tour durchs Baltikum führte neben einem Besuch der Hauptstädte auch aufs Land – und ehrlich gesagt finde ich die Provinz oftmals spannender als die abgesteckten Touristenpfade der Großstädte. Darum also ein Kurzbericht aus Kurkliai, einem 450-Seelen Ort mitten in Litauen.

Der Ort, offiziell sogar eine Stadt, wirkt auf den ersten Blick wie ein Dorf. Ein Dorf wie jedes andere? – ja und nein. Kurkliai war natürlich schon mit Bedacht ausgesucht, es lag am Weg und bot dabei doch eine Besonderheit: hier steht nämlich eine der wenigen erhaltenen hölzernen Synagogen Litauens.

Bilder im Internet zeigten einen Bau, der auf den ersten Blick wie eine Scheune wirkt, auf den zweiten Blick aber deutliche Eigentümlichkeiten aufweist: einen niedrigen Eckturm, die Umrisse von – zugenagelten – eigenartig spitzgiebeligen Fenstern. Als Erbauungszeit liest man 1932. Wüsste man nicht, dass dieser unscheinbare Bau eine Synagoge war, man würde ins Grübeln kommen.

Von den Bildern ausgehend habe ich dann den Ort auf Kartendiensten überflogen und angesichts der geringen Größe des Ortes auch relativ schnell den Standort ausfindig gemacht, an einer Wegkreuzung am Dorfrand steht sie, gar nicht mal so versteckt.

Kurkliai Synagoge

Kurkliai Synagoge

Man steht auf merkwürdig beeindruckte Weise davor, vor dem Hintergrund des eigenen – in meinem Fall bescheidenen – Wissens um jüdische Traditionen, und weil man sich zudem jüdisches Leben auf dem Dorf noch schwieriger vorstellen kann als in der Stadt. Die einzige Hinterlassenschaft dieser Tradition: ein Bau, der nach dem Krieg als Scheune genutzt wurde – man erkennt die Stelle wo ein Scheunentor die früheren Fenster durchbricht – und heute leer steht.

Kurkliai Synagoge 2

Kurkliai Synagoge 2

War einer der bewegendsten Momente der Reise – die Synagoge zu umrunden und durch die Spalten in den Bretter zu linsen, dabei die idyllische Lage an einem Bach wahrnehmend,. lauter kleine ebenerdige Häuser stehen da in der Nähe, ein Hund kläfft dazu. Hinter den Fenstern sicher neugierige Anwohner – da kommen wieder welche und fotografieren die alte Synagoge…

Kurkliai Dorfhäuser

Kurkliai Dorfhäuser

In der Mitte von Kurkliai selbst steht übrigens ein weiteres hölzernes Gotteshaus – eine katholische Kirche mit freistehendem Glockenturm (1874), auch ein nicht uninteressantes Baudenkmal. Vor der Kirche ein sowjetischer Soldatenfriedhof mit der Statue eines Rotarmisten. Insgesamt also schon beachtlich, wie vielschichtig sich die Geschichte hier am Land manifestiert: Kirche, Synagoge, Sowjetsoldat- alles hat Zeichen gesetzt und Spuren hinterlassen. Die Zeichen zu lesen und die Spuren zu deuten, dazu sind sie da.

Kurkliai Kirche und Soldatenfriedhof

Kurkliai Kirche und Soldatenfriedhof

Geschichte manifestiert sich überall, aber an manchen Orten ganz verdichtet, und damit sind nicht einmal die großen Residenzen oder Staatskanzleien gemeint. Mitunter auch an ganz abseits gelegenen Orten fängt einen dieser Nachhall der Geschichte ein. Mir ging es so zuletzt in Hummelshain, einem kleinen Ort in der Nähe von Kahla (Thüringen).
Der erste Blickfang in dem kleinen Ort ist natürlich das Neue Jagdschloss, dessen 48 Meter hoher Turm von weitem sichtbar ist. Der prächtige Schlossbau entstand 1880-85 als Jagdschloss für den Herzog von Sachsen-Altenburg – und in seiner überreich gestalteten Fassade ist er fast etwas zu großartig ausgefallen – gemessen an der umgebenden Landschaft. Wenn man jedoch liest, dass die Architekten aus Berlin kamen und wohl mehr in großstädtischer Umgebung zuhause waren als im Thüringer Land, wird einiges klar.

Hummelshain Neues Schloss

Hummelshain Neues Schloss

Nach 1918 gelangt das Schloss in den Besitz des Landes Thüringen, das es weiter an den Pößnecker Verleger Karl Vogl verkaufte, der es als Sommersitz nutzte. Während des Zweiten Weltkriegs wird die Geschichte düster. Die Flugzeugwerke REIMAHG (REIchsMArschall Hermann Göring), die am nahen Walpersberg Messerschmidt-Flugzeuge für die Luftwaffe bauen, richten 1944 ein Lazarett in Hummelshain ein. Im Schloss und den damals errichteten Baracken – die bis heute stehen – werden Zwangsarbeiter betreut – unter katastrophalen Umständen. Man liest von 175 Todesfällen.

Hummelshain Baracke

Hummelshain Baracke

Hummelshain Baracke Inneres

Hummelshain Baracke Inneres

Zu DDR-Zeiten dann eine neue Nutzung: Hummelshain wird zum Jugendwerkhof, jener Erziehungseinrichtung, in der „Problem-Jugendliche“ auf Linie gebracht werden sollten. Man nutzte neben dem Schloss auch die bestehenden Baracken und errichtete weitere Neubauten im Park. Sämtliche stehen immer noch als Ruinen auf dem Gelände und ermöglichen – mit der Geschichte im Hinterkopf – einen bedrückende Zeitreise… Das Denkmal, das 1967 von Jugendlichen des Jugendwerks zum Gedenken an die Opfer des Rüstungsbetriebes errichtet wurde steht noch heute und mahnt indirekt auch an die fragwürdige Einrichtung Jugendwerkhof.

Hummelshain Gedenkstein

Hummelshain Gedenkstein

Das Schloss selbst wird derzeit nicht genutzt, und das ist schade, denn das Schloss mit dem umgebenden Park ist eine Sehenswürdigkeit von besonderer Dimension – neben dem höfischen Glanz der Zeit vor 1918 stehen die dunklen Erinnerungen an den Rüstungswahnsinn der Nazis und die Erziehungsmethoden der DDR. Ein Förderverein bemüht sich um das Schloss, dessen Erhaltung sich alles andere als leicht gestaltet: Der – harmlos ausgedrückt – umtriebige Eigentümer ist insolvent und die hochfliegenden Pläne für ein Schulungs- und Kongresszentrum sind wohl endgültig begraben. Mittlerweile haben Notreparaturen am Dach stattgefunden, mehr ist zur Zeit leider nicht umsetzbar. Es bleibt eine echte Herausforderung, diesen vielschichtigen Ort für die Zukunft zu bewahren.

Mal eine weiter führende Tour unternommen: vier Tage Polen mit Hauptziel Krakau. Dabei stand ein eher klassisches „Besichtigungsprogramm“ an der Tagesordnung, aber natürlich hält unsereiner immer und überall auch nach möglichen „Lost Places“ Ausschau – man entwickelt ja dafür mit der Zeit ein Sensorium.

Interessant ist natürlich beides: das mehr oder auch weniger Bekannte, gleichwohl Verzeichnete und „offiziell“ Besuchbare genauso wie das – naturgemäß nicht so leicht zu erschließende – Abseitige und Vergessene mit seiner ganz besonderen Atmmosphäre. Mit dem Zug unterwegs und knapp mit Zeit ausgestattet, war der Raum für Besuche solcherart gering. Trotzdem aber, und aus der Not eine Tugend machend, hier einfach ein paar Bilder von Orten, die an der Bahnstrecke gelegen mir ins Auge gesprungen sind und in aller Eile noch festgehalten werden konnten – Schnappschüsse vom fahrenden Zug aus also:

Die deutsch-polnische Grenze wurde bei Görlitz überquert, schon kurz danach passiert der Zug Piensk / Penzig – aufgrund der örtlichen Tradition könnte es sich bei diesem Bauwerk um eine ehem. Glashütte handeln…

Penzig - Glashütte??

Penzig – Glashütte??

In Wegliniec / Kohlfurt besteht ein Verschiebebahnhof beeindruckenden Ausmaßes:

Węgliniec / Kohlfurt Rangierbahnhof

Węgliniec / Kohlfurt Rangierbahnhof

In Chojnów / Haynau steht in unmittelbarer Bahnhofsnähe die Ruine einer Mälzerei

Chojnow / Haynau Mälzerei

Chojnow / Haynau Mälzerei

Und bei Liegnitz sieht man im Vorbeifahren sogar eine abgestellte Dampflok

Dampflok bei Liegnitz

Dampflok bei Liegnitz

Breslau besitzt einen beeindruckenden historischen Bahnhof, der auch jüngst mit viel Sachverstand restauriert wurde. – Hier ein Blick vom Zug auf den Peron (tatsächlich hielt ich mich einen Tag in Breslau auf):

Breslau Hauptbahnhof

Breslau Hauptbahnhof

Von Breslau nach Krakau geht es zumeist schnurgerade über flaches Land und offenbar ohne größere Industrie-Ansiedlungen. Das ändert sich erst bei der Anfahrt auf das Oberschlesische Industriegebiet, dessen Vorbote die Stadt Kędzierzyn-Koźle ist. Hier überquert die Bahn den 1939 angelegten Gleiwitzer Kanal (vorher Klodwitzkanal) mit der Schleuse „Klodwitz / Klodnica“

Gleiwitzer Kanal Schleuse "Klodwitz"

Gleiwitzer Kanal Schleuse „Klodwitz“

Zwischen Gleiwitz und Kattowitz fällt das eine oder andere Relikt der Bergbau- und Hüttentradition wohl auf, allerdings noch mehr „deindustrialisierter“ Raum: Die Kleofas-Zeche kurz vor Kattowitz befindet sich beispielsweise gerade im Abbruch:

Grube "Kleofas"

Grube „Kleofas“

Das vielleicht beeindruckendste Objekt an der Strecke: die Zechengebäude bei Myslowice (KWK – Kopalnia węgla kamiennego)

Myslowitz KWK

Myslowitz KWK

In Jaworzno-Szczakowa bot sich dann doch Gelegenheit, ein Objekt genauer in Augenschein zu nehmen. Hier steht etwa 15 Minuten vom Bahnhof entfernt eine ehemalige Zementfabrik. Die traurige Überraschung vor Ort und Stelle dann: die mächtige Anlage wird gerade abgerissen, Bagger verrichten gerade ihr Werk und gehen der noch beeindruckenden Gebäudesilhouette mit ihren drei Schornsteinen an den Kragen.

Jaworzno-Szczakowa Zementwerk 1

Jaworzno-Szczakowa Zementwerk 1

Die Geschichte der Fabrik beginnt im Jahr 1883, damals entstand hier die dritte Portland-Zement-Fabrik auf dem Gebiet des heutigen Polen, die sich gut entwickelte und ihre Produkte bis nach Südamerika exportierte. Erst ab den 1970er Jahren sank die Produktion, die Produktionsanlagen schienen überaltert. 1990 schließlich folgte das Ende.

Jaworzno-Szczakowa Zementwerk 2

Jaworzno-Szczakowa Zementwerk 2

Interessant sind Baulichkeiten der Baustoffindustrie ja immer und in besonderem Maße – der Produktionsablauf hat auf architektonischer Seite Konstruktionen und Objekte mit außergewöhnlich markanten Formen hervorgebracht (Silos, Wärmetauschertürme, Förderanlagen). Im Kontrast zu dieser landschaftsdominierenden Wirkung steht der Umstand ihrer geringen Beachtung durch Wissenschaft und Industriearchäologie… Vieles auf diesem Gebiet wurde und wird leichthin abgerissen – dafür ist Jaworzno-Szczakowa wohl ein ebenso beredtes Beispiel wie die wunderbare „Betonburg“ der ehem. Perlmooser-Zementfabrik in Wien-Rodaun. – einer der Orte meiner Inauguration in das Gebiet der „Lost-Place“-Erkundung, RIP.

Besuch im Weltkurort Bad Gastein in den Salzburger Alpen – über die Einmaligkeit des Ortes könnte man viele Worte verlieren – das „Wolkenkratzerdorf“ in den Alpen ist schlichtweg eine städtebauliche Sensation – welche Baukubaturen da zu beiden Seiten eines tosenden Wasserfalls im Gewand schönster Gründerzeit-Grandezza an die steilen Berghänge gebaut wurden, das verschlägt einem schon mal die Sprache – wer im Tal gestanden hat und die Stockwerke des Grand Hotel del´Europe gezählt hat, der weiss wohl was ich meine.

Bad Gastein um 1930

Bad Gastein um 1930

Doch – wie mittlerweile allgemein bekannt – das historische Ortszentrum ist in Folge einer unglücklichen, fast wahnwitzig zu nennenden Entwicklung bedroht und seine Zukunft umdüstert: Noch lebt das Zentrum rund um die Kaiser-Franz-Joseph-Straße, noch flanieren Touristen durch das Zentrum und sehen zum Gutteil über die eingezäunten, leer stehenden Prachtbauten hinweg. Eine Tafel erklärt in knappen Worten die Situation: Fünf zentrale historische Gebäude im Zentrum befinden sich im Besitz einer Wiener Investmentgesellschaft und harren einer Sanierung und Neunutzung. Doch dies tun sie teilweise schon seit zehn Jahren. Mittlerweile zeigen sich immer deutlicher Spuren der Vernachlässigung und des Verfalls.

Bad Gastein Information

Bad Gastein Information

Denn 1999 begann der Wiener Immobilienhändler Franz Duval mit seiner Einkaufstour in Bad Gastein: Auf das historische Badeschloss, das traditionsreiche Hotel Straubinger und die ehem. k.u.k. Post folgte später das Kongresszentrum und das „Haus Austria“, in dem die Gemeindeverwaltung samt Museum untergebracht war. Allesamt Gebäude, die zum unverzichtbaren Kern des Städtebau-Ensembles Bad Gasteins gehören und zum Großteil unter Denkmalschutz stehen. Den großen Ankündigungen und Plänen von Revitalisierung Duvals folgten keinerlei Taten – stattdessen kam es zu juristischen Geplänkeln mit der Gemeinde, Verhandlungen über Rückkaufoptionen, sogar der – verständliche – Ruf nach „Enteignung“ wurde laut.

Bad Gastein Badeschloss

Bad Gastein Badeschloss

Das Badeschloss – vielleicht architektonisch am bedeutsamsten – wurde 1791 bis 1794 für den Salzburger Fürsterzbischof Colloredo als Kurhaus errichtet, später von Kaiser Franz Joseph erworben und als Hotel genutzt. Berühmtheiten bis hinauf zum deutschen Kaiser Wilhelm I stiegen hier ab. Im März 2013 brach im Dachstuhl des leerstehenden Gebäudes ein Brand aus – offenbar gelegt von zwei Saisonarbeitern im trunkenen Zustand, wie Medien berichteten. Das Dach wurde daraufhin gesichert, weitere Maßnahmen, vor allem um der durch die Löscharbeiten verursachte Feuchtigkeit und Schimmelbildung zu begegnen, stehen noch an.

Gegenüber des Badeschlosses steht das Hotel Straubinger, historisch bedeutsam als Ort der Unterzeichnung der Gasteiner Konvention von 1865, die die Herrschaft über die Herzogtümer Schleswig und Holstein zwischen Preußen und Österreich regelte. Eine Sanierung wäre jetzt notwendig, um den einsetzenden Verfall zeitgerecht zu stoppen.

Bad Gastein Hotel Straubinger (li.) und Post (re.)

Bad Gastein Hotel Straubinger (li.) und Post (re.)

Schließlich das Haus Austria und das Kongresszentrum. Die Läden im Erdgeschossbereich sind leergezogen, ein Bauzaun aufgezogen. Was beim „Haus Austria“ schmerzt, sieht beim Betonbau des Kongresszentrum anders aus. Angeblich gibt es Leute, die sich für den brutalistischen Sichtbetonbau als wichtiges Beispiel der österreichischen Nachkriegsarchitektur begeistern können, und vielleicht mag er an anderer Stelle und freistehend ja auch eine gewisse Wirkung entfalten. Hier aber, brutal ins historistische Stadtgefüge gesetzt, kann und wird der Bau einer Fremdkörper, ja Misston bleiben. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass hierfür die historische Wandelhalle (Wandelbahn) abgetragen wurde, schüttelt man aus heutiger Sicht darüber den Kopf.

Bad Gastein Kongresshaus

Bad Gastein Kongresshaus

Der Modernitätswahn, dem Bad Gastein damals erlegen war, hielt einige Zeit an. Man denke nur an das von der Idee her gute, in der Umsetzung aber unmögliche Parkhaus hinter dem „Haus Austria“. Ein Skandal, der aber mancherorts noch als Fortschritt bezeichnet wurde, war der 2006 erfolgte Abriss des prächtigen Hotelbaus des „Gasteinerhofs“. Und den nächsten Abriss-Kandidaten kann man ganz in der Nähe des Zentrums, gegenüber des „Hotel del´Europe“, ausmachen: den reizvollen Schweizerstil-Bau der „Villa Hollandia“, der schon deutlich die Spuren langjährigen Verfalls trägt, aber ohne Zweifel ein Verlust für das Stadtbild sein würde.

Bad Gastein Villa Hollandia

Bad Gastein Villa Hollandia

Man darf nur hoffen, dass solche Abrisse keine Menetekel sind für die Duvalschen Gebäude. Das Schlimmste an der Situation scheint ja, dass sich in naher Zukunft keine Lösung abzeichnet. Im Gegenteil: auch nach dem Tod von Franz Duval im Oktober letzten Jahres, hört man von dessen Sohn und Erben hochfliegende Zukunftspläne, aber nichts Konkretes.

Gasthof Lotzdorf – einer von vielen…

Veröffentlicht: November 3, 2013 in Geschichtsspuren
Schlagwörter:, , ,

Auf dem Weg nach Liegau-Augustusbad fiel mir dieser ehemalige Gasthof auf, ein stattlicher Bau, in seiner Art sicher nicht der einzige in Sachsen. Oder besser gesagt: Gaststätten dieser Art gab es früher einfach überall – sie waren der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens im Ort – früher, als die Bevölkerung ihre Freizeit noch ohne Fernsehen, Shopping und Auto zu gestalten hatte – und zu gestalten wußte.

Gasthof Lotzdorf

Gasthof Lotzdorf

Und früher heißt wohl: bis zur Wende, denn irgendwann nach der Wende muss der Betrieb wohl unrentabel geworden sein – und der Gasthof, der zuletzt den Namen „Neues Leben“ trug, steht – wie so viele Gasthöfe – leer.

Neues Leben geschlossen

Neues Leben geschlossen

Ich erwähne ihn nur, weil mir durch Zufall wenig später eine alte Litho-Karte in die Hände fiel, die den Gasthof zu seiner Blütezeit zeigt – mitsamt dem prachtvollen Saal, in dem wohl all die Feiern stattfanden, die Hochzeiten, Bälle, Vereinsjubiläen, die für die Menschen im Ort wichtig waren – Höhepunkte im Leben auf dem Lande. Wenn diese Wände erzählen könnten, von Lust und Feiern, von Liebe und Streit. Irgendwie schwierig, dabei nicht sentimental zu werden…

Gasthof Lotzdorf AK ca. 1900

Gasthof Lotzdorf AK ca. 1900

Das Bad im Wald

Veröffentlicht: November 3, 2013 in Denkmalschutz, Geschichtsspuren, Lost Places
Schlagwörter:, , ,

Vor etwa einem Jahr war ich unterwegs in Böhmen und stattete dem ehemaligen Kurort Giesshübl / Kyselka einen Besuch ab (s.u.). Ein wenig fühlte ich mich an dortige morbide Stimmung erinnert, als ich kürzlich eine ähnliche verlassenen Kuranlage besuchte: das versteckt liegende Liegau-Augustusbad bei Radeberg.

Augustusbad

Augustusbad

Die reichhaltige Geschichte der Anlage geht bis ins Jahr 1718 zurück, als der damalige Radeberger Bürgermeister Christoph Seydel bei der Suche nach Bodenschätzen alte Stollen wieder öffnen ließ und dabei auf ergiebige Quellen stieß, deren heilende Wirkung sich schnell herumsprach. König August der Starke ließ sich das Wasser ins nahe Dresden bringen, zu seinen Ehren erhielt die Anlage den Namen „Augustusbad“. Der Ort florierte, die Anlagen wurden beständig erweitert. 1875 wurde im zur Anlage gehörigen Berghof das erste Kindererholungsheim Deutschlands, das Betlehemsstift, gegründet.

Augustusbad - Postkarte von 1936

Augustusbad – Postkarte von 1936

1896 erwarb Willmar Schwabe das Bad und übertrug die Verwaltung der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK). Zu diesem Zweck organisierte er eine Stiftung, deren Satzung nach Neugründung nach der Wende heute wieder gilt und Augustusbad ausschließlich eine medizinischen Nutzung zudenkt.

Während der DDR wurden die Gebäude als Schule der Deutschen Volkspolizei genutzt bzw. als Altersheim (oder, um den viel schöneren DDR-Begriff zu verwenden: Feierabendheim). Seit der Wende steht die Anlage leer und verfällt. Anläufe zu Sanierung und Neuausbau als Kurklinik verliefen ergebnislos. Der jüngste, sehr zu unterstützende Vorschlag einer Einbindung in eine hier abzuhaltende Landesgartenschau könnte eine letzte Chance zur Rettung dieses wunderbaren Ensembles sein…

Augustusbad - Ehem. Herrenhaus

Augustusbad – Ehem. Herrenhaus

Es kommt schon selten vor, dass ein Ort eine so ganz eigen geartete Stimmung auslöst wie die Heide- und Hochmoorlandschaft auf der Hochebene von Frühbuß / Přebuz im böhmischen Erzgebirge. Dieser Winkel der Erde ist eine magische Gegend,  traumhaft schön, ein Ort, in den man eintaucht und an dem man sich entrückt fühlt.

Man glaubt sich hier an einem „Ende der Welt“, ein Gefühl, das ich schon hatte, bevor ich erfahren habe, dass es auf dem Weg von Graslitz über Silberbach nach Frühbuß eine Wüstung namens „Nancy“ gibt, wo einst eine Gaststätte bestand, die genauso hieß: „Gasthof zum Ende der Welt“ – Heute erinnert ein Gedenkstein an den Ort und das Gasthaus:

Silberbach - Nancy

Silberbach – Nancy

Das Schicksal dieser Grenzland-Gegend: – jahrhundertelang österreichisches Böhmen, dann Teil des ersten tschechoslowakischen Staates,  1938 – 1945 von Deutschland annektiert und Teil des Sudetengaus, nach 1945  wieder tschechisch – das Schicksal spiegelt sich auch in der Landschaft wider: Nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung wurden die entsiedelten Dörfer wie Nancy aufgegeben und ihre Häuser abgerissen – die Lichtungen und leeren Flächen, die bis 1945  bevölkert und bewirtschaftet waren, sprechen fast aufdringlich davon: diese Landschaft trägt Spuren einer leidvollen Geschichte, in ihre natürliche Schönheit mischt sich eine  Trauer, die das Verschwundene auslöst.

Frühbuß, die traditionsreiche Bergstadt, besteht noch als 75-Einwohner-Ort, im Ort findet man das verfallende Gebäude der ehemaligen Schule, eine verwitterte deutsche „Gasthaus“-Aufschrift und eine spätbarocke Kirche, die offenbar kaum oder gar nicht mehr benutzt wird.

Frühbuß Kirche St. Bartholomäus

Frühbuß Kirche St. Bartholomäus

Frühbuß Schule?

Frühbuß Schule?

Frühbuß Gasthaus

Frühbuß Gasthaus

Zu Frühbuß gehörten noch die Siedlungen Sauersack / Rolava und Neuhaus / Chaloupky.  Sauersack zählte bis zum Zweiten Weltkrieg über 900 Einwohner, heute steht eines der letzten erhaltenen Häuser in unglaublich malerischer Lage an einem Bach und der Straße nach dem ebenfalls entsiedelten Hirschenstand / Jeleni:

Frühbuß - Sauersack

Frühbuß – Sauersack

Frühbuß Sauersack Heide

Frühbuß Sauersack Heide

Vom Bergbau, der lange Zeit die Region prägte, künden noch einige Relikte aus der letzten aktiven Epoche, den 1930er/1940er Jahren. Abgebaut wurden Zinn- und Arsenerze. Am Hartelsberg finden sich Gebäudereste der ehem. Grube Otto – ein bizarr wirkendes Betonskelett, das von Fichten umringt in abgelegener Stille liegend montanarchäologische Begeisterung auslöst.

Frühbuß Schacht Otto

Frühbuß Schacht Otto

Der spannenden, reichen und traurigen Geschichte der Region, die hier bestenfalls nur angedeutet werden kann,  lohnt sich zu begegnen – und so wird es sicher nicht der letzte Besuch dort gewesen sein…

Der vogtländische Eiffelturm

Veröffentlicht: Mai 25, 2013 in Geschichtsspuren, Lost Places
Schlagwörter:, ,

Würde er heute noch stehen, er wäre ohne Zweifel eine der großen Attraktionen des Vogtlandes: der Wettinturm auf dem Hasenpöhl bei Oelsnitz. Doch unglückliche Fügung hat diesem außergewöhnlichen Bauwerk keine lange Lebenszeit beschieden. Um genau zu sein: nur 15 Jahre lang, von 1908 bis 1923 erhob sich der eiserne Aussichsturm über die vogtländische Kuppenlandschaft. Während dieser Zeit wurde er auch beworben – so findet sich in einem „Führer durch das Vogtland“ folgende Anzeige der Stadt Oelsnitz:

Anzeige ca. 1910

Anzeige ca. 1910

Der Turm selbst war eine Eisen-Fachwerk-Konstruktion von stattlichen 50 Metern Höhe. Auf einer Plattform aus Naturstein in den Ausmaßen 10 x 10 Meter erhob er sich nach oben verjüngend mit drei Podesten in 18, 35 und 50 Meter Höhe – weshalb der Vergleich mit dem Eiffelturm durchaus gegeben ist. Er war eine Stiftung von Carl Wilhelm Koch, dem Inhaber der Oelsnitzer Teppichfabrik Koch und te Kock, Erzeuger der „Halbmond“-Teppiche.

Oelsnitz Wettinturm 1921

Oelsnitz Wettinturm 1921

Sein baldiges Ende kam schon bald nach dem Ersten Weltkrieg. Paul Apitzsch schreibt dazu in seinem Wanderbuch „Wo auf hohen Tannenspitzen“: „ Angefeindet und verleumdet schon vor seiner Geburt (…) hat er trotz seines kräftigen Körperbaus ein Alter von nur fünfzehn Jahren erreicht. Angeblich, weil der erforderliche Neuanstrich seiner Eisenglieder unerschwingliche Geldsummen erfordere, wurde er im Inflationsjahr 1923 für 42 Millionen Papiermark an die Firma Rößler & Becker in Plauen veräußert und von dieser abgetragen“

Man erinnere sich: Auch der Pariser Eiffelturm – ursprünglich als temporäres Bauwerk für zwanzig Jahre gedacht – war während seiner Projektierung massiver Kritik ausgesetzt. Nach seiner Vollendung aber überwog die Begeisterung und die Akzeptanz als neues Wahrzeichen. Nicht so offenbar im Vogtland. Der Turm verschwand und seine Lebenszeit war wohl auch zu kurz, um ihn im Gedächtnis der Bevölkerung zu verankern. So wissen nur wenige, was es da mit diesen Mauern im Wald auf dem Hasenpöhl für eine Bewandtnis hat.

Oelsnitz Wettinturm Fundament

Oelsnitz Wettinturm Fundament

Denn zunehmend überwuchert steht die Basis des Turms noch, lässt sich besteigen und umrunden. Nur einen „prächtigen Rundblick“ bis nach Thüringen, Bayern und Böhmen gewährt der Ort heute nicht mehr.

Oelsnitz Wettinturm Fundament

Oelsnitz Wettinturm Fundament

Das ehemalige Dienstleistungskombinat in Göritzhain, heute zur Stadt Lunzenau gehörend, war kein architektonisches Aushängeschild – ein fünfstöckiger „Kasten“, 1976-78 errichtet. Zu DDR-Zeiten beschäftigte man sich hier mit der Reparatur von Textilien und Lederwaren, erzeugte Damen- und Herrenoberbekleidung, das DLK war der wichtigste Arbeitgeber in der Gemeinde. 1991 kam das Ende und das landschaftsdominierende oder – je nach Standpunkt – landschaftsverschandelnde Gebäude begann leer zu stehen. Letztes Jahr schließlich der obligatorische geförderte Abriss.
Nun ist ein solcher Prozeß ja beileibe keine Seltenheit, und der Abrissbirne fielen hier in Ostdeutschland schon eine Menge weit wertvollere und bedeutendere Traditionsbetriebe zum Opfer. Bemerkenswert ist aber, wie hier mit dem Abriss umgegangen wurde. Auf dem Gelände des Fabriksbaus wurde ein Park angelegt, und in diesem Park erhebt sich als bleibende Reminiszenz ein Stahlträgerrahmen des ehemaligen Dienstleistungskombinats.

Göritzhain DLK

Göritzhain DLK

Eine Info-Tafel wurde aufgestellt, die Erinnerung soll wachgehalten werden. Und dazu braucht es nun mal greif- und sichtbarer Relikte. In Göritzhain hat man das sehr schön umgesetzt – auch beim gleich neben der Fabrik liegenden ehemaligen Bauernhof, der ebenfalls abgerissen wurde. Hier blieben die Türgewände aus Rochlitzer Porphyr sowie vier alte Säulen, die einst ein Gewölbe trugen und ein alter Brunnen erhalten. Auf den ersten Blick wirkt die Szenerie in dem gerade frisch gestalteten Gelände etwas befremdlich, und der auswärtige Besucher muss sich in die aufgestellten Relikte erst „einlesen“, trotzdem – das ganze ist ein Beispiel im Umgang mit – vermeidlichen oder unvermeidlichen – Abrissen, das Schule machen sollte.

Göritzhain Ehemaliger Bauernhof

Göritzhain Ehemaliger Bauernhof

Denn zu oft wird einfach „tabula rasa“ gemacht, und Geschichte solcherart aus dem Gedächtnis künftiger Generationen gelöscht.

In Göritzhain wurde übrigens voriges Jahr auch der alte Gasthof abgerissen – ein historisch schwerwiegenderer Verlust als das DLK – aber auch hier wurde das Eingangsportal geborgen und neu aufgestellt. Und nur wenige Schritte weiter liegt eine – wie ich vermute – ehemalige Mühle, leer stehend und baufällig. Es scheint gut möglich, das auch von diesem Bauwerk demnächst nur noch ein Türrahmen zu bewundern ist.

Göritzhain Mühle

Göritzhain Mühle